Amulette und alte Kulte in Anatolien

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Bis heute haben sich in der türkischen Gesellschaft teils abergläubige Kulte und schamanistische Glaubensvorstellungen aus früheren Zeiten erhalten. Das am meisten verbreitete Amulett (Talisman) ist sicherlich das so genannte “Auge des Bösen”, welches zu den ältesten schamanistischen Symbolen anatolischer Zivilisationen gehört.

Das Nazar-Amulett hat nach wie vor für viele Menschen eine grosse Bedeutung. Das Symbol, in der Regel sind blaue Augen mit leicht verschwommenem Blick dargestellt, findet man als Glasanhänger in Wohnstuben, als Aufkleber in Autos oder als steinernes Symbol auch an vielen neu errichteten Häusern.

Von diesen Amuletten erhofft sich der Träger Schutz, denn das “Auge des Bösen” gilt als die Kraft, Menschen Schaden zuzufügen, vor allem Kindern, zahmen Tieren, aber auch dem Eigentum (Bild: Nazarlık – Amulett gegen das Böse an einem Haus im Dorf Sille, Zentralanatolien).

Einige Menschen sollen eine unheilvolle Kraft besitzen, die vom “Bösen Auge” des Betrachtenden ausgeht. Man glaubt, das negative Gefühle wie Neid und Eifersucht ausströmen, um das Opfer mit Bösem, Krankheiten und Ärger zu treffen. Solchen Angriffen könne man am besten mit einem Nazarlık, einem Amulett widerstehen, so glauben diejenigen, die es verwenden.

Das “Auge des Bösen” wird auf zwei Arten beschrieben, es besteht einerseits aus einem stechenden, wirkungsvollen Ausdruck und gilt als Träger schlechter Gefühle und Verwünschungen und andererseits aus einem verschwommenen Blick, der als gefährliche und übel gesinnte Energiequelle des Betrachtenden gilt und sich auch ohne ausdrücklichen Willen in den Augen ausdrückt. Ohne Zweifel ist das Nazar ein altes Symbol, es wurde bereits im alten Babylon benutzt, während in Ägypten das “Auge des Osiris” bekannt war. Bei den frühen Turkvölkern, besonders bei denen, die den Schamanismus praktizierten, war das “Auge des Bösen” sehr verbreitet. Später vermischten sich diese Glaubensvorstellungen mit dem Islam. Letztendlich könnte gerade dieses Symbol und seine Bedeutung sich seit den Anfängen der Menschheit entwickelt haben und sich im Laufe vieler Jahrtausende homogen den verändernden religiösen Vorstellungen angepasst haben.

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Viele Menschen sehen auch heute noch eine offensichtliche Verbindung zwischen unglücklichen und leidvollen Ereignissen und dem “Auge des Bösen”.

In den Dörfern kann das auch bedeuten, dass die Kühe nicht mehr genug Milch geben, prächtige Mutterschafe keine Jungen mehr gebähren, gesunde Bullen schwach werden oder auch Kinder plötzlich schwer erkranken, aber auch wenn harmonische Beziehungen zwischen Familienmitgliedern plötzlich zerstört sind oder sich enge Freunde abwenden, werden solche Ereignisse manchmal noch den Auswirkungen des “Bösen Auges” zugeschrieben (Bilder 2-3: Nazarlık – Amulett gegen das Böse. Stadtmuseum Anamur).

Vor allem in früheren Zeiten neigte die Landbevölkerung zu kultischen Handlungen, die sie als wirkungsvolle Massnahmen gegen das “Böse Auge” betrachtete. So soll etwa kranken Babys zur Abwehr gegen das Böse 41 Stücke schwarzer Kümmel um den Hals gelegt worden sein oder wenn man glaubte, dass jemand den “Bösen Blick” hatte, schnitt man ihm eine Haarlocke ab und rieb ihm damit über die Augenlider.

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In anderen Berichten heisst es, man habe zuerst Wasser über den bedeckten Kopf einer vom Bösen befallenen Person und anschliessend heissen Blei über die Kopfbedeckung ausgegossen. Aus der Form, die das gegossene Blei annahm, glaubte man die Wirksamkeit der Prozedur ablesen zu können. Hatte das gegossene Blei die Form eines Herzens, so sah man das Böse vom Herzen gefallen, hatte es die Form einer Nadel, so sah man das Böse vom Auge gefallen.

Früher glaubten Einige, das blauäugige Menschen, Leute mit blonden Haaren, schwächlichen Körpern, Kreuzaugen oder Einäugige die Kraft des “Bösen Auges” besitzen könnten. Menschen mit blauen Augen sollen gefürchtet gewesen sein, man glaubte sie hätten die Kraft Steine zu knacken.

Schutz vor dem Einfluß des Satan mit Koranversen

Neben den aus schamanistischer Zeit stammenden Vorstellungen und Methoden suchen die meisten Menschen Anatoliens heute als Muslime Schutz vor dem Bösen, also vor dem schlechten Einfluss des Satans mit der Rezitation bestimmter Koranverse. So werden die beiden letzten Suren des Koran auch als Nazar-Suren oder Schutz-Suren bezeichnet.

In Sure 113 “Das Morgengrauen” heisst es: “(1) Sprich: Ich suche Zuflucht zum Herrn des Morgengrauens, (2) vor dem Übel dessen was er erschaffen hat (3) und vor dem Übel der Nacht, wenn sie sich verfinstert (4) und vor dem Übel der auf Knoten blasenden Magierinnen (5) und vor dem Übel des Neiders, wenn er neidet.”

Auch die Rezitation der Sure 114 “Die Menschen” dient zum Schutz vor schlechten Einflüssen: “(1) Sprich: Ich suche Zuflucht zum Herrn der Menschen, (2) dem Herrscher der Menschen, (3) dem Gott der Menschen (4), vor dem Übel des sich ein- und ausschleichenden Einflüsterers, (5) der in die Herzen der Menschen einflüstert (6) Sei er von den Dschinn oder den Menschen.”

Während die meisten Muslime heute wohl alleine auf die Kraft der Worte Gottes vertrauen, haben sich hier und da auch alte Praktiken mit dem islamischen Glauben vermischt. So wird berichtet, dass wenn man denkt, ein Kind sei vom “Bösen Blick” befallen, diese Koransuren rezitiert werden und währenddessen dem Kind vom Lesenden ein Glas Wasser zu trinken gegeben wird.

Die Fatma-Hand

Es gibt bestimmte Symbole und Motive, die dem aufmerksamen Beobachter immer wieder begegnen, sei es auf Teppichen, Gebrauchs- und Kunstgegenständen oder an Wänden und Türen. Dazu gehört auch die Fatma-Hand, die auch in arabischen und nordafrikanischen Ländern, vor allem in Marokko immer wieder zu sehen ist. Die Hand ist dasjenige Körperteil, das den Menschen von den Tieren unterscheidet, so heisst es, und gilt damit als Symbol kreativer Kraft.

Bilder von Fingern und Händen wurden bereits auf Höhlenmalereien aus der Steinzeit entdeckt, denen man religiöse und magische Bedeutung zusprach. Handmotive wurden in Südanatolien in der Region Antalya gefunden, aber auch in Europa wie in Frankreich und Spanien. Bei den Ausgrabungen in Çatalhöyük und Alacahöyük in Zentralanatolien fand man Hinweise, dass die steinzeitlichen Menschen für Fruchtbarkeit und reiche Ernte gebetet haben müssen, in dem sie Opfergaben in Gefässen darbrachten, die menschlichen Händen ähnelten.

Das heute “Fatma-Hand” genannte Symbol hat jedoch einen islamischen Hintergrund. Fatma war die jüngste Tochter des Propheten Mohammed von seiner ersten Frau Hatice. Sie war die Ehefrau Alis und die Mutter von Hasan und Hussein. Sie wird als “Fatma ana” bezeichnet, “Ana” steht hier als Ehrentitel für “Mutter”. Es ist überliefert das Mohammed eines Tages sein Gewand auszog, die eine Hälfte über sich und die andere Hälfte über Ali, Fatma und ihre Söhne Hasan und Hussein ausbreitete, so dass fünf Menschen unter dem Gewand waren. Die Hand steht für diese Szene, nach der der Daumen Mohammed symbolisiert, der Zeigefinger Ali, der Mittelfinger Fatma und der Ringfinger und der kleine Finger Hasan und Hussein.

So blieb das Handmotiv und die Zahl “fünf” bis heute in Anatolien und anderen islamischen Ländern ein bedeutendes Symbol. Die Fatma-Hand gilt als Zeichen für Fruchtbarkeit und ist auf Kleidungsstücken, Teppichen (meistens gewebten Kelims) zu finden oder wird als Amulett um den Hals getragen. Das Fatma-Symbol gilt als hilfreich bei Krankheiten, Geburten, im Haushalt sowie für gute Beziehungen zwischen Eheleuten. Hausfrauen in Anatolien pflegen zu sagen: “Oh Allah, lass meine Hand wie Fatma ana´s Hand sein.

In Anatolien gibt es eine fünfzweigige, dornige Pflanze, die “Fatmaana Eli” genannt wird. In manchen Dörfern wird diese Pflanze während der Geburt eines Kindes in ein Glas Wasser getaucht und die Hebamme sagt: “Möge dein Mutterschoß sich öffnen wie der Mutterschoß Fatmas”. Während die Pflanze langsam das Wasser absorbiert, sieht es aus, als wenn sich eine Hand öffnet. Wenn die gebährende Frau sieht, wie sich die Pflanze öffnet, entspannt sie sich und die Geburt fällt ihr leichter. Die Fatma-Hand und die Zahl “fünf” galten lange auch als Schutz gegen das “Auge des Bösen”.

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