Der Kräuterapotheker im alten Basarviertel von Konya


Schon wenn man den tiefer gelegenen Hof gegenüber der Piri-Mehmet-Paşa-Moschee und dem angrenzenden seldschukischen Mausoleum im alten Basarviertel von Konya betritt, duftet es herrlich nach Kräutern. Im Innern von Yafes Sinops Kräuterapotheke sind die natürlichen Düfte jedoch besonders intensiv.

In einem Teil der Räumlichkeiten, die einst die osmanische Stiftung “Hayra Hizmet Vakfı” beherbergte, sind diverse Kräutersorten in kleinen Behältern geordnet oder stehen in Säcken auf dem Boden. In einem anderen schmalen, gangähnlichen Raum in der Kräuterapotheke von Yafes Sinop in Konya befindet sich ein überfüllter Schreibtisch und eine kleine Sitzecke, diverse Dekorationsgegenstände, darunter zahlreiche alte Öllampen, eine Schlangenhaut, das Horn eines Steinbocks und verschiedene Mobiles hängen an der Decke.

Hier können die Kunden zunächst ihre Leiden schildern und sich beraten lassen. Bevor man zum Arzt geht oder auch chemische Präparate aus einer der normalen Apotheken einsetzt, vertrauen wieder mehr Menschen in der Türkei der Naturmedizin zur Linderung ihrer gesundheitlichen Probleme. Diese ist in der Regel auch kostengünstiger, als der teure Besuch beim Arzt und die Medikamente aus der Apotheke.

2004 hatte ich Bekanntschaft mit Yafes Sinops Kräutermedizin gemacht, als mich eine unangenehme Darmkrankheit heimgesucht hatte. Zur Linderung hatte der Aktar (so wird der Beruf des Kräuterapothekers in der Türkei genannt) mir zerriebene Granatapfelschalen verordnet, ein trockenes Pulver, das ich auf einem Löffel in den Mund schob und sogleich das Gefühl hatte, eine Ladung Sägemehl zu essen. Ein kräftiger Schluck Wasser diente zum Nachspülen der nicht gerade schmackhaften Naturmedizin. Doch es half innerhalb kurzer Zeit.

Ende Mai 2005 sitzen wir lässig in der Nachmittagssonne im Hof, die Regale an den Wänden sind voll mit alten Utensilien und jeder Menge historischer Radios, fast wie in einem Museum. Alte Möbel, auf denen ein Tierschädel thront, stehen in der Mitte des Hofes, gefärbte Wolle trocknet in der Sonne. Yafes Sinop ist begeisterter Sammler von alten Originalstücken.

Während von der Piri-Mehmet-Paşa-Moschee gegenüber der eindringliche Ruf des Muezzins erschallt, trinken wir Tee, der mit einigen Gewürzen angereichert ist und unter anderem herrlich nach Zimt schmeckt. Der Tee wird von einem seiner fünf Mitarbeiter in der Teeküche der Kräuterapotheke zubereitet, ein schmaler, dunkler Raum, den man nur in geduckter Haltung betreten kann. Die Zeit vergeht einfach so, Bekannte kommen und gehen und während wir ein wenig plaudern, erklingt von nebenan das metallische Klopfen des Kesselmachers, der im monotonen Rhythmus ein Zinngefäß bearbeitet.


Ende Dezember trinken wir wieder Tee in Yafes Sinops Kräuterapotheke. Draussen ist es kalt und Yafes hat mir Thymian-Öl für meine Erkältung verordnet, das wie ein natürliches Antibiotikum wirken soll. Der im Jahre 1951 in Konya geborene Kräuterapotheker Yafes Sinop, in der Türkei “Aktar” genannt, liebt seine Arbeit. Geldverdienen steht für ihn nicht im Vordergrund, er möchte den Menschen bei der Linderung ihrer Leiden helfen. “Nach der Grundschule wollte ich nicht mehr zur Schule gehen”, erzählt er: “So begann ich meinem Vater im Laden zu helfen.” Schon der Großvater hatte großes Wissen über die Kräutermedizin besessen, dieses aber nur für den Eigenbedarf angewandt. Der Vater jedoch begann Kräuter zu mischen und zu verkaufen und wurde damit bekannt in Konya. “Die Leute nannten meinen Vater Dereli Kemal, weil er aus dem Dorf Dere nahe dem heutigen Stadtteil Meram stammte”, erklärt Yafes.

Nachdem er drei Jahre dem Vater im Laden geholfen hatte, ging Yafes wieder zur Schule, später studierte er Architektur an der Universität, danach ging er zum Militär. 1980 begann er schließlich im Laden des Vater zu arbeiten. “In diesem Beruf kann man täglich dazulernen”, sagt er und er glaubt, dass es in der ganzen Welt genug Kräuter gegen alle Krankheiten gibt. Die Menschen hätten nur nicht genug Wissen darüber. Er selbst benutzt seit über zehn Jahren keine chemische Medizin mehr.

“Heute wird es immer schwieriger die richtigen Kräuter zu finden, viele Pflanzen sind ausgestorben. Zahlreiche Gewächse stehen nun unter Naturschutz, wie etwa das Tausendgüldenkraut (Türkisch: kırmızı kantoron), das in der Region Uludağ bei Bursa vorkommt. Es darf nicht mehr gepflückt werden.”, sagt Yafes Sinop und führt an, dass es alleine in der Türkei zwischen 11000 und 14000 Pflanzenarten gibt.

In Osmanischer Zeit mußte man mindestens 2000 verschiedene Arten Kräuter vorrätig haben und entsprechendes Wissen besitzen, wenn man als Aktar eine Kräuterapotheke eröffnen wollte. Und dann zählt er ein paar Beispiele auf, welche Kräutermixturen er gegen verschiedene Krankheiten einsetzt. Zur Stärkung der Widerstandskräfte, bei Schwächung des Immunsystems, bei Stoffwechselkrankheit verordnet er eine Mischung aus Honig, Pollen, Bienenmilch (jene gelbliche Masse, mit der Königsbienen gefüttert werden, auch Gelee Royal genannt), Brennessel-Samen, Schwarzkümmel und Ginseng-Wurzel.

Bei Ruhr und Durchfall empfiehlt Yafes Sinop Blätter des Quittenbaumes, Pfefferminze und Granatapfelschalen. Das Gemisch wird als Tee 3-5 mal täglich getrunken. “Wichtig ist, das alle Mixturen bezüglich Dosis und Zeiten so eingenommen werden, wie ich es verordne”, sagt der Aktar. Bei Venenverstopfung, Bluthochdruck und Cholesterin helfen Lavendelkraut und die Heilpflanze mit dem lateinischen Namen Vitex agnus-castus, die bereits in der Antike geschätzt war und auch in Europa während des Mittelalters unter dem Namen “Mönchspfeffer” bekannt war. Mönchspfeffer, Lavendelkraut und Brennessel sollen bei Gelenkbeschwerden und Rheumatismus helfen.

Yafes Sinop sagt, er habe außerdem Kräutermedizin zur Anwendung bei Hepatitis A, B und C, Geschwüren, Alzheimer und Schlaganfällen. Bei Bedarf mischt er auch Tees für Diäten und zur Hautpflege. Nach der Zukunft seines Berufs befragt, zeigt sich Yafes Sinop sehr optimistisch: “Heutzutage kommen mehr Menschen als noch zu meines Vaters Zeiten. Der Beruf des Aktar hat eine goldene Zukunft”.

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