Der nachdenkliche Humor des Nasreddin Hoca


Bekannt bei der türkischen Bevölkerung und auch weit über die Grenzen des Landes hinaus ist der im Jahr 1237 nach Akşehir übergesiedelte Nasreddin Hoca, dessen Leben und Wirken sich durch eine besondere Form des nachdenklichen Humors auszeichnete. Er bekleidete das Amt eines Imam, das bereits sein Vater im kleinen Dorf Horto nahe der westanatolischen Stadt Sivrihisar ausgeübt hatte, wo Nasreddin 1208 geboren wurde.

In Akşehir soll er zunächst Vorlesungen verschiedener Gelehrter besucht und später selbst an der Medrese, der theologischen Hochschule unterrichtet haben. 1284, das heißt im Jahr 683 nach islamischer Zeitrechnung starb er in Akşehir. Dort steht auch sein Mausoleum inmitten des großen Friedhofs.

Die Geschichten und Anekdoten über Nasreddin als Witze zu bezeichnen, würde dem Wirken des Hoca nicht gerecht. In allen Erzählungen ist ein feinsinniger und mehrdeutiger Humor zu erkennen, der an Seitenhieben gegenüber seinen Mitmenschen nicht spart. Andererseits zeigen die Anekdoten auch Nasreddins Wohlwollen und Zuneigung gegenüber seinen Zeitgenossen, denen er wohl im Alltag helfen wollte, in dem er ihnen gelegentlich eine Lehre erteilte.

Lange wurden die Geschichten über Nasreddin nur mündlich überliefert, fanden aber ihren Weg auch in andere Kulturkreise außerhalb der Türkei. Insgesamt soll es hunderte Geschichten über den eigenwilligen Volksphilosophen geben, einige von ihnen scheinen jedoch im Nachhinein entstanden zu sein.

Als ich im Juni 2005 nach Akşehir komme, besuche ich zuerst das Mausoleum Nasreddin Hocas, das während der vergangenen Jahrhunderte oft umgestaltet wurde und in einen Friedhof integriert ist. Bei einem Begräbnis soll jemand Nasreddin Hoca einmal gefragt haben, ob man während des Leichenzuges besser hinter oder vor dem Sarg gehen sollte. Der Hoca hatte geantwortet: “Die Hauptsache ist, dass man sich nicht im Sarg befindet”.

Gegenüber dem Friedhof erstreckt sich der Gülmece-Park, was übersetzt Humor-Park heißt. Über eine kleine Brücke gelangt man zu einem Skulpturengarten, der von einer großen Statue Nasreddin Hocas und kleinerer Büsten anderer Humoristen dominiert wird. Die Statue zeigt Nasreddin, wie er verkehrt auf seinem Esel sitzt, eine Szene aus einem der über ihn erzählten Schwänke, die zum Sinnbild wurde.

Eines Tages soll der Hoca auf seinem Esel von der Moschee nach Hause geritten sein. Dabei setzte sich mit dem Gesicht nach hinten auf den Esel. Die Leute fragten ihn erstaunt nach dem Grund und er antwortete: “Ich verabscheue Respektlosigkeit. Wenn ich vor euch reiten würde, dann würde ich euch meinen Rücken zuwenden und wenn ihr vor mir reiten würdet, dann würdet ihr mir den Rücken zuwenden. Das wäre auch unhöflich. Diese Art zu Reiten lößt das Problem.”

Der Esel, das Reittier der einfachen Leute im ländlichen Anatolien, spielt in vielen Geschichten um Nasreddin Hoca eine nicht unbedeutende Rolle. Er übernimmt auch eine symbolische Rolle für erduldetes Leid, Sorgen, Hunger und Strafen. Die Schwänke erscheinen auch heute noch zeitlos und sind nach wie vor bei der Bevölkerung Anatoliens beliebt.

Nicht selten erzählt jemand aus dem Stehgreif eine der Anekdoten, die den Zuhörer stets schmunzeln läßt, aber auch nachdenklich stimmt: Eines Tages hatte Nasreddin Hoca seinen Esel verloren. Während er sich sich auf die Suche nach dem Tier machte, sprach er fortwährend Dankgebete. Als ihn jemand fragte, wofür er Allah dankte, wo er doch seinen Esel verloren habe, sagte der Hoca: “Ich danke Allah, das er mich davor bewahrte, auf diesem Esel zu sitzen, sonst wäre ich mit verloren gegangen”.

Eine Anekdote berichtet, dass Nasreddin Hoca die jungen Leute von Akşehir durch seine Schlagfertigkeit manchmal ganz schön in Bedrängnis gebracht hatte und so nahmen sich einige von ihnen vor, sich dafür an dem Hoca zu rächen, damit dieser sich wenigstens einmal geschlagen geben mußte. Sie luden Nasreddin zu einem Besuch im Hamam (Bad) ein und jeder der jungen Männer trug heimlich ein Hühnerei mit sich.

Als sie schließlich auf der Schwitzbank saßen, sagte einer von ihnen: “Wie wäre es, wenn jetzt jeder von uns noch ein Ei legt. Wer das nicht kann, der soll das Badegeld begleichen.” Alle stimmten begeistert zu, ohne das Nasreddin zu Wort kam, und stimmten ein gemeinsames “Hühnergackern” an. Dabei legten sie vorsichtig die mitgebrachten Eier auf die Bank. Nasdreddin Hoca, der den Plan der jungen Kerle längst durchschaut hatte, begann nun mit kräftiger Stimme wie ein Hahn zu krähen. Die jungen Männer forderten: “Hoca, du sollst doch ein Ei legen. Warum gackerst Du nicht?” Darauf sagte Nasreddin: “Ich dachte, dass zu dieser Schar von Hühnern hier doch auch ein Hahn gehören muß.”

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Nasreddin und der Dieb

Einmal verschaffte sich ein Dieb Zutritt zu Nasreddin Hocas Haus und schaffte so viele Dinge fort, wie er tragen konnte. Der Hoca hatte den Dieb jedoch bemerkt und folgte ihm, nachdem er auch den Rest seiner Habseligkeiten zusammengepackt hatte. Als er Dieb zu Hause angekommen war, klopfte Nasreddin an dessen Tür. Der Dieb öffnete erschreckt und fragte unfreundlich: “Was suchst du hier, Hoca?” Darauf entgegnete Nasreddin:” Ich denke ich bin gerade in dieses Haus umgezogen und hier bringe ich den Rest meiner Sachen”.

Die vor ihren Frauen keine Angst haben

Nasreddin gehörte zu einer Gruppe von Männern, die sich zu einem kleinen Verein mit dem Namen “Die vor ihren Frauen keine Angst haben” zusammengeschlossen hatten. Eines abends versammelten sich die Mitglieder wieder einmal und zur Eröffnung der Sitzung sagte einer: “Oh ihr Männer, die ihr vor euren Frauen keine Furcht habt, setzt euch nieder!”

Alle Anwesenden setzten sich, nur Nasreddin Hoca blieb stehen. “Was ist mit dir, Hoca?”, rief der Sprecher sofort: “Fürchtest du dich etwa vor deiner Frau?” Mit selbstbewußter Geste wies der Hoca die Frage von sich: “Nein, sicher fürchte ich mich nicht vor meiner Frau, aber es fällt mir schwer mich zu setzen, denn sie hat mich letzte Nacht grün und blau geschlagen.”

Verwünschung und Vergeltung

Als der Hoca einmal einen Armen speisen wollte, in dem er ihm einen Teller Suppe brachte, erlaubte sich jemand einen üblen Scherz. Er stellte Nasreddin ein Bein, worauf der Teller samt Suppe auf die Straße fiel. Der Hoca war äußerst verärgert und rief laut: “Für diese Tat wird dir etwas Schlimmes zustossen!” Im Schreck stolperte der Scherzende und verletzte sich leicht am Fuß.

Sogleich zeigte er Reue, da ihn die Strafe so schnell getroffen hatte. “Ich entschuldige mich, Hoca”, jammerte er: “wie du sehen kannst habe ich meine verdiente Strafe bekommen.” Doch Nasreddin winkte ab: “Das scheint mir die Vergeltung einer früheren Tat gewesen zu sein. Wenn dich meine Verwünschung ereilt, wird es dir so schlecht gehen, das es dir nicht einmal mehr möglich sein wird, dich bei mir zu entschuldigen”.

Mond oder Sonne

Es geschah das jemand Nareddin Hoca fragte, ob die Sonne oder der Mond nützlicher sei. Dieser antwortete: “Die Dunkelheit hat keinen Nutzen von der Sonne, da diese nur tagsüber scheint. Der Mond aber bringt Licht in die Dunkelheit der Nacht. Daher erscheint mir der Mond nützlicher als die Sonne”.