Reise in die Jungsteinzeit – Die archäologische Ausgrabungsstätte Çatalhöyük


Ein besonderes Erlebnis war für mich der Besuch der Ausgrabungsstätte Çatalhöyük in Zentralanatolien. Die 9000 Jahre alte Stadt mit 13 übereinander liegenden Siedlungsschichten aus der Jungsteinzeit wird von Wissenschaftlern nicht ohne Grund als eines der international wichtigsten archäologischen Projekte der Gegenwart bezeichnet.

Schon länger hatte ich mir gewünscht diese bedeutende Ausgrabungsstätte zu besuchen und so war ich besonders erfreut, das mein Freund Abdullah aus Konya es mir durch seine Kontakte ermöglichte, eine Erlaubnis zum Besuch der Anlage und zum Fotografieren zu erhalten und so wurden wir an einem herrlichen Spätsommertag Mitte September 2005 von einem Mitarbeiter der Ausgrabungsstätte empfangen und durch die verschiedenen Ausgrabungsstellen auf dem Gelände geführt, die teils vor der Witterung mit Planen oder einem festen Kunststoffdach geschützt sind.

Bei dem informativen Rundgang fühlte ich mich beim Anblick der Überreste von freigelegten Häusern in eine ferne Zeit versetzt, in der die Menschen einfach und vergleichsweise primitiv im Einklang mit der Natur lebten, doch keineswegs einfältig, sondern vielmehr einfallsreich, künstlerisch kreativ und religiös waren sowie sich stetig weiterentwickelten wie viele Generationen der verschiedensten Kulturen nach ihnen.

Ein ebener Hügel sowie zwei unterschiedlich hohe Hügel in Form einer Gabel führten zur heutigen Namensgebung “Çatalhöyük” der vor ca. 9000 Jahren gegründeten Stadt. Die ersten Funde machte der Engländer James Mellaart zusammen mit David French und anderen Kollegen im Jahre 1958. Die ersten Ausgrabungen, bei denen man sich auf den grösseren, östlichen Grabhügel konzentrierte, fanden zwischen 1961 und 1965 statt. Viele Jahre waren die Ausgrabungen in Çatalhöyük unterbrochen, bis man 1993 unter Leitung von Ian Hodder von der Cambridge und Stanford-Universität die Arbeiten wieder aufnahm.

Experten gehen davon aus, dass es mindestens 25 weitere Jahre dauern wird, bis dieses bedeutende archäologische Projekt abgeschlossen sein wird. Heutzutage sind zahlreiche Forscher aus verschiedenen Ländern, teils mit modernen Techniken an dem Projekt beteiligt, darunter diverse türkische Universitäten. 2005 fand ein Team der Istanbuler Universität unter Leitung von Dr. Mihriban Ozbasaran eine Tonfigur, die der bereits früher gefundenen so genannten Muttergöttin sehr ähnelt, jedoch mehrere Interpretationen zulässt, etwa “eine Frau, die sich in einen Vorfahren verwandelt” oder “eine Frau, die sich mit dem Tod vereinigt” oder die die Verbindung zwischen Leben und Tod darstellt. In den jüngsten Veröffentlichungen wird nicht ausgeschlossen, das früherere Interpretationen möglicherweise korrigiert werden müssen. Die Grabungen und Forschungen in Çatalhöyük bleiben ohne Zweifel spannend.

Die bisher erforschten Schichten und freigelegten Überreste einer Stadt, in der bis zu 10000 Menschen gelebt haben sollen, geben Zeugnis vom Leben und der Kultur der frühen Siedler zu einer Zeit, als Menschen begannen in Städten zu leben. Die Archäologen fanden geheimnisvolle Wandmalerereien, künstlerisch gefertigte Keramiken, aus Knochen gefertigte Werkzeuge, Pfeil- und Speerspitzen aus vulkanischem Obsidian, Gebrauchsgegenstände und kultische Figuren aus Terrakotta, die einen Eindruck vom alltäglichen Leben und der Glaubenswelt der jungsteinzeitlichen Menschen vermitteln.

In Çatalhöyük wurden eindrucksvolle Wandmalereien entdeckt, die den frühen Höhlenmalereien ähneln und die Landschaften, Tiere und geometrische Muster zeigen. Sie geben Aufschluss über die Lebensweise, Ereignisse und Gedankenwelt der frühen Siedler. Ausserdem wurden menschliche Skelette gefunden, darunter das eines einjährigen Kindes, dessen Arme und Beine mit Schmuckreifen versehen sind. Dieses Skelett befindet sich heute, wie einige andere Funde aus Çatalhöyük im Archäologischen Museum in Konya, andere Ausgrabungsstücke sind im Museum für Anatolische Zivilisationen in Ankara ausgestellt. In einem Ausstellungsraum neben der Ausgrabungsstätte in Çatalhöyük sind derzeit nur Duplikate der Fundstücke zu sehen, es gibt jedoch Pläne ein spezielles Museum in der nahegelegenen Stadt Çumra zu errichten.

In dem Gebäude mit einem Ausstellungsraum und Besucherzentrum, das unter anderem von Universitätsgruppen besucht wird, ist auch ein Labor untergebracht. Auf dem Gelände hat man ein typisches Çatalhöyük-Haus nachgebaut, welches sehr anschaulich die Wohnkultur der jungsteinzeitlichen Siedler vermittelt. Die Häuser wurden quadratisch angelegt, als Baumaterialien verwendete man Ziegelsteine, Tonerde, Holz und Schilfrohr.

Jedes Haus hatte seine eigenen Aussenwände, war jedoch in der Regel direkt an das Nachbarhaus gebaut, so dass es keine Gehwege oder Strassen gab. Der Eingang befand sich im Flachdach der einstöckigen Häuser, um ins Innere zu gelangen benutzte man eine Leiter. Das tägliche Leben fand auf den Dächern der Häuser statt. Das Innere bestand aus einem grossen Zimmer mit Nischen in den verputzten Wänden, die teils mit Wandmalereien verziert waren sowie einem Vorratsraum und einer Kochstelle. Im Zimmer befand sich eine 10-30 cm hohe Steinbank, die als Tisch, Schlafplatz sowie später zur Aufbahrung der Toten diente. Nach etwa 80 Jahren wurde das Haus zur Begräbnisstätte, komplett aufgefüllt und diente als Fundament für ein neues Haus, das man direkt darüber baute. So entstanden im Laufe der Generationen übereinander zahlreiche Schichten in einer Höhe von insgesamt 21 Metern.

In der frühen Stadt sollen zunächst zwischen 3000 und 8000 Menschen gelebt haben, es gibt jedoch keine Erkenntnisse über eine zentrale Verwaltung. Sicher war Çatalhöyük nicht die erste Siedlung, die sich auf der Grundlage von Viehhaltung und früher Landwirtschaft gebildet hatte, jedoch ohne Zweifel eine der am weitesten entwickelten Orte, nachdem die Menschen eine grundlegende Veränderung von Jägern und Sammlern zu Siedlern und Farmern durchgemacht hatten. Die Region mit reichen Sumpfgebieten und üppigem Waldbestand an den etwas entfernt gelegenen Berghängen eignete sich in der Jungsteinzeit hervorragend für Ackerbau und Viehzucht.

Projektwebsite: www.catalhoyuk.com