Akşehir liegt rund 135 Kilometer nordwestlich von Konya und ist eine Kleinstadt mit etwas mehr als 60000 Einwohnern, die zur Provinz Konya gehört.
Das milde Klima dort eignet sich sich hervorragend für den Anbau von Getreide, Rüben und Mohn, vor allem aber ist die Region für ihre Früchte wie Äpfel, Birnen, Pflaumen, Erdbeeren und nicht zuletzt für ihre karminroten Kirschen bekannt. Erste Siedlungen soll es im Gebiet von Akşehir bereits in der Jungsteinzeit gegeben haben, im 3. Jahrtausend vor christlicher Zeitrechnung beherrschten die Hethiter das Land, später folgten ab 750 v.Chr. Phrygier, Lydier, Perser und Griechen. Unter den Römern, die ab etwa 30 v.Chr. Teile Anatoliens kontrollierten, war die Stadt als “Philomelium” bekannt, was “Stadt der honigsüßen Liebhaber” bedeutet.
Römer und Byzantiner behielten die Macht, bis im Jahre 1076 die Seldschuken unter Melikshah die Region eroberten. Während der Mongolenstürme und der so genannten Beylik-Periode wurde die Stadt für ein Jahrhundert durch die Klans der Eşrefoğlulları, Hamitoğulları und Karamanoğlulları regiert, bis die Osmanen nach 1476 die Macht in Anatolien übernahmen.
Vor Gründung der Türkischen Republik war Akşehir zwischen dem 18. November 1921 und dem 24. August 1922 das Hauptquartier der Westfront im Unabhängigkeitskrieg.
Bekannt bei der türkischen Bevölkerung und auch weit über die Grenzen des Landes hinaus ist die Stadt jedoch vor allem wegen des im Jahr 1237 nach Akşehir übergesiedelten Nasreddin Hoca, dessen Leben und Wirken sich durch eine besondere Form des nachdenklichen Humors auszeichnete. Dieser bekleidete das Amt eines Imam, das bereits sein Vater im kleinen Dorf Horto nahe der westanatolischen Stadt Sivrihisar ausgeübt hatte, wo Nasreddin 1208 geboren wurde.
In Akşehir soll er zunächst Vorlesungen verschiedener Gelehrter besucht und später selbst an der Medrese, der theologischen Hochschule unterrichtet haben. 1284, das heißt im Jahr 683 nach islamischer Zeitrechnung starb er in Akşehir. Dort steht auch sein Mausoleum inmitten des großen Friedhofs.
Die Geschichten und Anekdoten über Nasreddin als Witze zu bezeichnen, würde dem Wirken des Hoca nicht gerecht. In allen Erzählungen ist ein feinsinniger und mehrdeutiger Humor zu erkennen, der an Seitenhieben gegenüber seinen Mitmenschen nicht spart.
Andererseits zeigen die Anekdoten auch Nasreddins Wohlwollen und Zuneigung gegenüber seinen Zeitgenossen, denen er wohl im Alltag helfen wollte, in dem er ihnen gelegentlich eine Lehre erteilte. So konnten sich bis heute die Anatolier in seinen Geschichten selbst wiederfinden.
Lange wurden die Geschichten über Nasreddin nur mündlich überliefert, fanden aber ihren Weg auch in andere Kulturkreise außerhalb der Türkei. Insgesamt soll es hunderte Geschichten über den eigenwilligen Volksphilosophen geben, einige von ihnen scheinen jedoch im Nachhinein entstanden zu sein.
Als ich im Juni 2005 nach Akşehir komme, besuche ich das Mausoleum von Nasreddin Hoca, das während der vergangenen Jahrhunderte oft umgestaltet wurde und in einen Friedhof integriert ist. Bei einem Begräbnis soll jemand Nasreddin Hoca einmal gefragt haben, ob man während des Leichenzuges besser hinter oder vor dem Sarg gehen sollte. Der Hoca hatte geantwortet: “Die Hauptsache ist, dass man sich nicht im Sarg befindet”.
In der Nähe steht auch die im Jahre 1510 im Auftrag von Hasan Paşa errichtete osmanische Imaret-Moschee. Auf einer der Säulen hat der bekannte Reisende des 17. Jahrhunderts Evliya Çelebi seine Handschrift hinterlassen. Gegenüber dem Friedhof erstreckt sich der Gülmece-Park, was übersetzt Humor-Park heißt.
Über eine kleine Brücke gelangt man zu einem Skulpturengarten, der von einer großen Statue Nasreddin Hocas und kleinerer Büsten anderer Humoristen dominiert wird. Die Statue zeigt Nasreddin, wie er verkehrt auf seinem Esel sitzt, eine Szene aus einem der über ihn erzählten Schwänke, die zum Sinnbild wurde.
Eines Tages soll der Hoca auf seinem Esel von der Moschee nach Hause geritten sein. Dabei setzte er sich mit dem Gesicht nach hinten auf den Esel. Die Leute fragten ihn erstaunt nach dem Grund und er antwortete: “Ich verabscheue Respektlosigkeit. Wenn ich vor euch reiten würde, dann würde ich euch meinen Rücken zuwenden und wenn ihr vor mir reiten würdet, dann würdet ihr mir den Rücken zuwenden. Das wäre auch unhöflich. Diese Art zu Reiten lößt das Problem.”
Der Esel, das Reittier der einfachen Leute im ländlichen Anatolien, spielt in vielen Geschichten um Nasreddin Hoca eine nicht unbedeutende Rolle. Er übernimmt auch eine symbolische Rolle für erduldetes Leid, Sorgen, Hunger und Strafen.
Die Schwänke erscheinen auch heute noch zeitlos und sind nach wie vor bei der Bevölkerung Anatoliens beliebt. Nicht selten erzählt jemand aus dem Stehgreif eine der Anekdoten, die den Zuhörer stets schmunzeln läßt, aber auch nachdenklich stimmt.
Eines Tages hatte Nasreddin Hoca seinen Esel verloren. Während er sich auf die Suche nach dem Tier machte, sprach er fortwährend Dankgebete. Als ihn jemand fragte, wofür er Allah dankte, wo er doch seinen Esel verloren habe, sagte der Hoca: “Ich danke Allah, das er mich davor bewahrte, auf diesem Esel zu sitzen, sonst wäre ich mit verloren gegangen”.
Nicht weit vom Gülmece-Park teilt eine weitere Statue Nasreddins die Straße. Ein paar Männer sitzen am Straßenrand, während ein kleiner Pferdewagen vorbeifährt. Nur wenige Autos fahren an diesem Nachmittag in der Altstadt Akşehirs. In Richtung des alten Stadtzentrums schließt sich eine lange Reihe kleiner Ladenlokale an, darunter Juweliere, Buchhändler und Handwerker.
Ruhigen Schrittes finden hier und da Kunden den Weg in die Geschäfte. In einer Seitengasse befindet sich eine kleine Mescid, das ist ein Gebetsraum wie eine kleine Moschee, in der die Gläubigen des Viertels zwischen Arbeiten und Einkaufen ihre Gebete verrichten können.
Im Vorraum bietet sich eine Waschgelegenheit, im oberen Teil können die muslimischen Frauen beten, ohne von den Männern gesehen zu werden. Beginnt die reguläre Gebetszeit, leitet auch in der Mescid ein Vorbeter das gemeinsame Gebet. Direkt an der Durchgangsstraße, die auch das Dolmuş aus Richtung der Otogar, wo die Überlandbusse ankommen, ansteuert, liegt ein Teegarten. Da es noch vor etwa einer Stunde geregnet hatte, sind viele der Stühle und Tische feucht, nur hier und da sitzen Gäste.
Ein paar junge Männer scheinen sich in einer Tischrunde offensichtlich zu amüsieren, an einem anderen Tisch verzehren zwei junge Frauen Käsetoast, während neben dem kleinen Brunnen mit künstlich gestalteten Felsen ein Liebespaar anscheinend die Welt um sich herum vergessen hat. Von der anderen Seite schaut ein altes Mütterchen manchmal neugierig herüber und die Kellner halten etwas gelangweilt Ausschau nach neuen Gästen. Die Sonne ist herausgekommen und verbreitet eine ruhige Stimmung.
Nach der wohltuenden Pause führt mich mein Weg durch die Altstadt vorbei am Şifa-Hamam, einem klassischen türkischen Bad. Eine Anekdote berichtet, dass Nasreddin Hoca die jungen Leute von Akşehir durch seine Schlagfertigkeit manchmal ganz schön in Bedrängnis gebracht hatte und so nahmen sich einige von ihnen vor, sich dafür an dem Hoca zu rächen, damit dieser sich wenigstens einmal geschlagen geben mußte. Sie luden Nasreddin zu einem Besuch im Hamam ein und jeder der jungen Männer trug heimlich ein Hühnerei mit sich. Als sie schließlich auf der Schwitzbank saßen, sagte einer von ihnen: “Wie wäre es, wenn jetzt jeder von uns noch ein Ei legt. Wer das nicht kann, der soll das Badegeld begleichen.”
Alle stimmten begeistert zu, ohne das Nasreddin zu Wort kam, und stimmten ein gemeinsames “Hühnergackern” an. Dabei legten sie vorsichtig die mitgebrachten Eier auf die Bank. Nasdreddin Hoca, der den Plan der jungen Kerle längst durchschaut hatte, begann nun mit kräftiger Stimme wie ein Hahn zu krähen. Die jungen Männer forderten: “Hoca, du sollst doch ein Ei legen. Warum gackerst Du nicht ?” Darauf sagte Nasreddin: “Ich dachte, dass zu dieser Schar von Hühnern hier doch auch ein Hahn gehören muß.”
Zwischen Alt- und Neubauten in Handwerksgassen und Geschäftsstraßen gelange ich zur Taş-Medrese, einer alten theologischen Hochschule, die im Jahre 1250 von Fahreddin Ali, dem Sohn des seldschukischen Groß-Wesirs Emirdad Sahipta erbaut wurde. Die Taş-Medrese bestand ursprünglich aus einer Moschee, einer Armenküche sowie einem Wasserbrunnen.
Von dem Komplex sind heute nur noch das Grab sowie Gebäude der ehemaligen theologischen Hochschule erhalten. Im Museum werden unter anderem zahlreiche Grabsteine der Seldschuken und Osmanen ausgestellt, die in der Stadt und Umgebung gefunden wurden. Das Minarett ist zur Zeit eingerüstet und auch das danebenliegende Aerchologische Museum befindet sich gerade in Restauration.
Dunkle Wolken sind aufgezogen und so legt sich eine bizarre Stimmung über die Szenerie. Akşehir beherbergt zahlreiche weitere alte Moscheen, Mausoleen und Museen, wie die seldschukische Ulu-Moschee und das Mausoleum des Seyyid Mahmut Hayrani, einem gelehrten, humorvollen Philosophen aus dem 13. Jahrhundert.
Ich wende mich einem Wohnviertel mit vielen noch erhaltenen, alten Häusern zu, die unterhalb der so genannten “Berge des Sultans” stehen.
Viele der meist zweigeschössigen Häuser, die zwischen 80 und 150 Jahre alt sind, haben einen Erker mit hohen Fenstern. Ein etwas tiefer gelegenes, so genanntes Gartengeschoß bildet einen dritten Lebensbereich innerhalb des Hauses und der Mauern zum Garten.
Nicht wenige der alten Häuser sind noch überwiegend aus Holz. Die Aussenfassade, ganze Türen oder auch nur Teile der Gebäude sind mit türkiser, roter, blauer oder manchmal gelber Farbe gestrichen.
Vier Jungs mit schelmhaften Gesichtern versuchen auf das Gelände eines abgerissenen oder zerfallenen Hauses zu gelangen, ein alter Mann schreitet gesenkten Hauptes des Weges, Hausierer verkaufen kleine Gegenstände und ein paar Frauen sitzen plaudernd und strickend auf ausgetretenen Treppenstufen.
Im Akşehir Evi, einem alten Haus mit historischer Einrichtung, in der originalgetreu das Innere eines typischen, traditionellen Akşehir-Hauses zu sehen ist, kann man sich sehr gut vorstellen, wie die Menschen in der Stadt früher gelebt haben. Wohn-, Schlaf- und Essräume sind mit Original-Gegenständen wie Teppichen, Kissen, Bett und Wiege sowie Utensilien wie Ess- und Trinkgefäße eingerichtet.
Im Gartengeschoß kann man sich mit typischen Gerichten der Region stärken. Hier wie in vielen kleinen und mittelgroßen Restaurants in Akşehir werden traditionelle Speisen angeboten wie “Herse” oder auch “Mantı”, das ich hier zum ersten Mal esse.
Das traditionelle türkische Gericht “Mantı” ist nicht nur in Akşehir bekannt. Aus einer dünnen Lage Nudelteig werden kleine Stücke geschnitten, mit Schaf- oder Rindfleisch gefüllt, anschließend in reichlich Wasser gekocht und dann in einer großen Portion Joghurt serviert.
Auch Nasreddin Hoca soll mit Joghurt so seine Späße getrieben haben. Es wird erzählt, dass er einmal denjenigen Leuten eine kleine Lehre erteilen wollte, die dazu neigten, gerne “Luftschlösser” zu bauen.
Dazu ging er eines Tages zum Akşehir-See, einem großen See in der Nähe der Stadt. Nasreddin hatte eine große Schüssel mit Joghurt dabei und begann mit einem Löffel den Joghurt in den See zu rühren.
Ein Vorbeikommender fragte ihn erstaunt: “Was machst Du da, Hoca ?” Daraufhin antwortete Nasreddin mit einem Kichern: “Ich gebe Joghurtkulturen in den See, um ihn in Joghurt zu verwandeln.” Darauf sagte der andere: “So ein Unsinn, einen ganzen See kann man nicht in Gärung bringen”. Der Hoca antwortete gelassen: “Stell Dir einfach vor, das es geht”.
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