Langsam verziehen sich die tief hängenden Wolken über den nahen Bergen. Es ist noch früh am Morgen und Safranbolu in der türkischen Schwarzmeer-Region erwacht langsam. Die wärmenden Strahlen der Sonne fallen auf die vielen alten Fachwerkhäuser aus Osmanischer Zeit.
Spuren Osmanischen Lebensstils
Ich nehme mir ein Zimmer in einem der so genannten Konak, um für einige Tage auf den Spuren der Osmanen im alten Safranbolu zu wandeln. Diese geräumigen, teils mehrere hundert Jahre alten Fachwerkhäuser sind heute entweder als Pensionen geöffnet oder als Privatmuseen zu besichtigen.
Mit alten Fotos dekorierte Wände, kunstvoll gestaltete Türen und Fenster, mit Motiven vertäfelte Decken und die originale Innenausstattung der Wohnstuben, Schlafzimmer und Küchen im Innern der alten Konaklar vermitteln einen guten Eindruck vom Leben der besser gestellten Familien der spätosmanischen Gesellschaft von Safranbolu.
Schon frühe Kulturen wie Hethiter, Phrygier und Perser hatten die Region geprägt. Unter den Byzantinern als “Dadybra” bekannt, hatte die Stadt unter der Kontrolle der türkischen Seldschuken ab 1196 und nach 1416 unter den Osmanen verschiedene Namen, wie “Zalifre”, “Taraklı Borğlu”, “Zağfıranbolu”, bevor erst 1940 daraus “Safranbolu” wurde.
Den wirtschaftlich und kulturellen Höhepunkt erlebte Safranbolu zwischen dem 17. und 19. Jahrhundert, nicht zuletzt wegen guter Beziehungen zum Hof des Sultans in Istanbul, da einige Söhne der Stadt es bis in die höchsten Ämter des Osmanischen Staates geschafft hatten.
Ein offensichtliches Beispiel dafür ist die Karawanserei Cinci Han im alten Stadtzentrum, sie ist das größte Gebäude im Ort. Cinci Hoca lies im 17. Jahrhundert diese Herberge für reisende Händler bauen. Er war Oberster Militärrichter unter Sultan Ibrahim I., der zwischen 1640 und 1680 das Osmanische Reich regierte. Die Ausmasse des Gebäudes lassen erahnen, wie bedeutend Safranbolu zu damaliger Zeit gewesen sein muß. Gelegen an einer der wichtigen Handelsrouten “Istanbul-Bolu-Amasya-Tokat-Sivas” profitierte die Stadt wirtschaftlich und kulturell von den Karawanen. Zu dem Komplex gehört auch ein öffentliches Bad (Hamam) mit einer Frauen- und einer Männerabteilung.
Von einer der Anhöhen habe ich einen guten Überblick über die dicht aneinander stehenden Häuser, die alten Moscheen und die große Karawanserei. Die vielen kleinen Gassen verschwinden dabei überwiegend im Gesamteindruck. Auf einem Hügel thront das 1904 erbaute und erst kürzlich restaurierte Kaymakam-Haus, einst Sitz des Repräsentanten der Regierung. Nicht weit entfernt davon steht der Uhrturm, den Izzet Mehmet Pascha, der Großwesir von Sultan Selim III. hier 1797 erbauen ließ.
Zum Bau des Uhrturm erzählt man sich eine Geschichte in Safranbolu. Izzet Mehmet Pascha, der in Safranbolu eine Moschee bauen lassen wollte, suchte nach einem geeigneten Grundstück und verhandelte mit den Besitzern über den Kauf eines Stück Landes. Die wollten zunächst das Land nicht hergeben, bis Izzet Mehmet Pascha ihnen als Gegenleistung eine Uhr versprach, deren Besitz damals eine Besonderheit war.
So konnte er schliesslich ein aus mehreren Felsen bestehendes Stück Land erwerben. Vierzehn Jahre dauerte es, bis die Izzet Mehmet Pascha Moschee, die teils über einen kleinen Fluss gebaut wurde, schliesslich 1796 vollendet war und die ehemaligen Besitzer des Grundstücks forderten nun die versprochene Uhr. Daraufhin liess Izzet Mehmet Pascha den Uhrturm auf dem Hügel über der Stadt bauen, wo damals noch eine Burganlage stand. Dann verkündete er: “Hiermit gebe ich euch und allen Bewohnern der Stadt die versprochene Uhr. Wer die Zeit wissen möchte, kann zum Uhrturm hinaufschauen.”
Handwerker in Safranbolu – Die Letzten ihrer Zunft
Der Schmied Hüseyin Şahin besucht meist mehrmals täglich die Izzet Mehmet Pascha Moschee, denn sie liegt nur ein paar Schritte entfernt von seiner Werkstatt im Demirci Çarşısı, dem Viertel der Schmiede. Während heute in der benachbarten Stadt Karabük die Arbeiter an den Hochöfen der Metallindustrie arbeiten, fertigt Hüseyin Şahin Türbeschläge und Schlösser noch in Handarbeit am offenen Feuer in seiner winzigen Werkstatt.
Der 45jährige Meister Hüseyin ist ein bescheidener und gläubiger Mensch, in Gesprächen mit ihm wird mir schnell klar, das es sich bei ihm um einen demütigen und aufrichtigen Menschen handelt, der seine Arbeit liebt und der in seinem Beruf eine Aufgabe gefunden hat, die er möglichst gut und gewissenhaft erledigen möchte. Hüseyin Şahin stammt aus Safranbolu und lebt auch heute noch hier mit seiner Familie in einem rund 140 Jahre alten Haus, in das er mich eines Abends einlädt. Er war bei einem Schmied in die Lehre gegangen, doch die Arbeit für die Schmiede wurde mit den Jahren immer weniger, so dass er nicht genug zum Leben verdienen konnte.
Die Situation änderte sich, als im Jahr 1994 Safranbolu von der UNESCO in die Liste des Weltkulturerbe aufgenommen wurde. “Damals”, so erzählt er, “begannen viele Hausbesitzer ihre alten Häuser zu restaurieren und so bekamen die Schmiede wieder Aufträge, um Türbeschläge und Schlösser zu fertigen.” So konnte sich das traditionelle Schmiedehandwerk in Safranbolu erhalten und ihm und einigen anderen Schmiedemeistern bis heute ein bescheidenes Auskommen bieten.
Es ist heiss in der kleinen Schmiede, Meister Hüseyin entfacht das Feuer und bläst mit dem Blasebalg in die Glut. Überall wirbelt der schwarze Staub herum. Als das Stück Eisen endlich glüht, nimmt er es mit einer Zange aus der Glut, legt es auf den Amboss und schlägt mit seiner Manneskraft immer wieder den Hammer auf das glühende Metall, so dass die Funken in alle Richtungen sprühen.
Immer und immer wieder dreht er das Stück mit der Zange und schlägt zu. Die Hammerschläge werden zu einem monotonen Rhythmus, der in der schmalen Gasse der Handwerker widerhallt und sich mit den Hammerschlägen der benachbarten Schmiede vermischt. Schließlich wird das fertige Eisen im Wasser abgekühlt. In Hüseyins Schmiede entstehen diverse Metallteile wie Nägel, Stifte, Beschläge, Türklinken, Griffe, Schlösser und Werkzeuge. Viele der Arbeiten weisen traditionelle osmanische Motive und Ornamentik auf. Den letzten Schliff erhalten die Stücke dann mit der Feile an einem kleinen Arbeitstisch.
Im Jahr 2001 wurde er bei einem Kunsthandwerker-Wettbewerb der Türkischen Regierung ausgezeichnet. “Eigentlich wollte ich mich dort nicht bewerben, denn ich habe nur die Grundschule besucht, ich bin kein Ingenieur oder kein gebildeter Künstler wie andere”, erzählt er; “aber meine Verwandten haben mich gedrängt nicht so schüchtern zu sein und so habe ich zwei Türgriffe bei dem Wettbewerb eingereicht.” Bescheiden fügt er hinzu: “Ich habe den ersten Platz gemacht.”
Wir trinken Tee in seiner Werkstatt und Hüseyin erzählt über das Leben und die Arbeit als Schmied. Dabei erwähnt er, das der erste Schmied auf der Welt der Prophet Davut (David) gewesen sei. Dieser sei somit ein Beispiel für alle Schmiede. “So wie der Prophet Davut arbeitete, so arbeite ich heute noch”, sagt Meister Hüseyin und beginnt voller Hingabe ein neues Stück Eisen zu bearbeiten. Zu Osmanischer Zeit war es üblich, das reiche Bürger, meistens solche, die im Staatsdienst aktiv waren, in ihren Heimat- oder Wohnorten Moscheen, Bibliotheken, Karawansereien und ganze Basarviertel stifteten. Die Läden in den Basaren wurden dann von Handwerkern gepachtet.
Im Osmanischen Reich waren die Handwerker bis ins frühe 20. Jahrhundert in Zünften organisiert, die Läden in den Städten waren nach Branchen geordnet und zumeist in einer Strasse oder einem kleinen Viertel angesiedelt. Zumindest in einigen Städten der heutigen Türkei hat sich diese Anordnung in ähnlicher Form bis heute erhalten.
Damals hatte auch in Safranbolu jeder Basarbereich (Arasta) seine eigene Zunft und einen Zunftmeister. Die Handwerker hatten sich einem bestimmten System von Regeln zu unterwerfen, das sie einerseits in die städtische Gesellschaft integrieren sollte, aber auch den Kunden eine frühe Form des Verbraucherschutzes bot.
Die Organisation in Zünften gab dem Osmanischen Staat eine einfache Möglichkeit, um Steuern einzutreiben, manchmal fungierte die Zunft jedoch auch als Interessenvertretung der Handwerker gegenüber der Regierung, etwa bei Großbestellungen für die Armee, die bei bevorstehenden Feldzügen oder in Kriegszeiten nicht selten als Vorleistung zu erbringen waren.
Auch der 85-jährige Sattelmacher Musa Kemal Ağyaroğlu (Türkisch: Semerci) ist einer der Letzten seiner Zunft in der Türkei. Er hockt in einer kleinen Werkstatt am Fenster zur Gasse und fertigt wie einst Packsattel für Esel und Pferde. So kann er sich mit Nachbarn, Passanten und Kunden unterhalten, ohne seine Arbeit unterbrechen zu müssen. In der Tradition seines Vaters und Großvaters arbeitet Musa in diesem Beruf seit er 12 Jahre alt ist.
„Damals gab es noch 12 bis 15 Sattelmacher in Safranbolu“, erzählt er: „Heute bin ich der Letzte. Ich habe einen schmächtigen Körper, aber genug Kraft für das Leben und meine Arbeit. Einen Packsattel zu machen ist nicht einfach“, erklärt er mir, man brauche die richtigen Materialen. „Der Filz für den Bezug kommt aus Balıkesir, das Schilfrohr aus Bursa-Kemalpaşa, wasserfestes Tuch beziehe ich aus Malatya. Ausserdem verwende ich Buchenholz und spezielle Nägel, die nicht so leicht zu finden sind.“
In der Strasse der Schuhmacher waren im Ersten Weltkrieg noch Stiefel für das Osmanische Heer in grossen Mengen produziert worden. Heute sind es ein paar ältere Männer, die den meist türkischen Besuchern des Ortes handgemachte Schuhe im osmanischen Stil anbieten. Nahe der größten Moschee in Safranbolu, die 1661 von dem einflussreichen Großwesir Köprülü Mehmet Pascha eröffnet wurde und auch seinen Namen trägt, treffe ich einen Yemeneci, den Schuhmacher Mustafa Öncül. Er sitzt in der Gasse vor seiner kleinen Bude und nutzt das Sonnnenlicht, um mit bedächtiger Ruhe und voller Hingabe an einem Schuh zu arbeiten.
Auch er hatte bereits früh, im Alter von 10 Jahren in Eskişehir begonnen, das Schuhmacherhandwerk zu erlernen. Wenig später kam seine Familie nach Safranbolu, als Meister eröffnete er dann seine eigene Werkstatt in der Strasse der Schuhmacher. „Damals gab es hier 48 Schuhmacherläden“, erzählt er. „Doch nachdem die Leute begannen, nur noch Schuhe aus der Fabrik zu kaufen, bekamen wir Schuhmacher große Probleme. Als dann die Stahlwerke in Karabük öffneten, gaben viele ihr Handwerk auf, um in der Fabrik zu arbeiten. Heutzutage gibt es nur noch vereinzelt Schuhmacher in der Türkei,“ so erzählt Schuhmachermeister Mustafa: „in Gaziantep, Kahramanmaraş, Kilis und einige hier in Safranbolu“.
Heute ist die Strasse der Schuhmacher, die wie ein Hof angelegt ist und in dessen Mitte ein Teehaus steht, ein sehr ruhiger Ort. Ein Platz zum Ausruhen und Nachdenken und bei ein paar Gläsern Schwarzen Tee kommt mir unweigerlich in den Sinn, wie es wohl früher hier gewesen sein mag, das Klappern der Werkzeuge, die rege Geschäftigkeit der Handwerker und die Gespräche mit Nachbarn und Kunden.
Einst brachten die Handelskarawanen vielfältige Materialen, Waren, Neuigkeiten und auch Ideen in die Stadt. Der wirtschaftliche Erfolg bot vielen Menschen ein gutes Auskommen, manchen bescherte er gar Wohlstand. All dies ist in der modernen Zeit untergegangen und es bleiben als letzte Erinnerung die historischen Gebäude und ein wenig das Flair in den Handwerksbuden, den Kräuterläden, die auch Safran aus der Region anbieten, den kleinen Lokalen und Teestuben. All das macht jetzt jene glücklich, die das Nostalgische lieben und eine kleine Zeitreise unternehmen in das alte Safranbolu.