In der Provinz Adıyaman im Südosten der Türkei befindet sich der Berg Nemrut (Nemrut Dağı) mit einer Höhe von über 2000 Meter. Es ist ein faszinierendes und bewegendes Erlebnis, wenn die ersten Sonnenstrahlen am frühen Morgen hoch oben auf die über 2000 Jahre alten Götzenstatuen aus der Kommagene-Zeit fallen. Wer war jenes Volk und sein König Antiochos, der sich selbst zum Gott ernannte und damit einen neuen Kult schuf? Die Legende erzählt, dass sein Vater und er einen Vertrag mit den Göttern schlossen und so erfolgreich viele Jahre den expandierenden Römern und Parthern trotzten.
Im 1. Jahrhundert v.Chr. wurde unter Antiochos, Herrscher über das Königreich Kommagene im nördlichen Mesopotamien ein beeindruckendes Grabheiligtum auf einem 2000 Meter hohen Berg angelegt. Antiochos erkannte die Möglichkeit damit einen Kult zu schaffen, der seine Machtposition stärken und sich als neue Religion auch über die Grenzen des Reiches hinaus verbreiten könnte. Dazu bezeichnete er sich gar selbst durch den Beinamen “Theos” als Gottheit.
“Wer auch immer im Verlaufe der Zeit als König oder Herrscher diese Herrschaft übernimmt, der soll, wenn er dieses Gesetz und unsere Verehrung bewahrt, durch meine Fürbitte die Gnade aller vergöttlichten Ahnen und aller Götter besitzen.”
König Antiochos (50 v.Chr.)
Aufbruch zum Berg Nemrut
Es ist kurz vor Mitternacht am 18. Mai 2006 und ich sitze in einem Hotelzimmer in Kahta in der Provinz Adıyaman in Südostanatolien. Am Abend war ich von Antakya kommend hier eingetroffen, hatte im Hotel-Restaurant zu Abend gegessen und den traditionellen Klängen einer Musikgruppe gelauscht. Jetzt habe ich noch genau zwei Stunden Zeit, bis ich zum nahegelegenen Berg Nemrut (Türkisch: Nemrut Dağı) aufbrechen werde.
Die Zeit vergeht wie im Flug und der Minibus steht bereit, um zum “Berg der Götter” mit 2000 Jahre alten Statuen aus der Zeit des Kommagene-Reiches zu fahren. Durch die Nacht geht es etwa eine Stunde Fahrt außerhalb von Kahta bis zum Eingang des Nemrut Nationalparks. Von da an fährt der Minibus im Stockdunkeln einen langen Weg den Berg hinauf, der sich bis auf über 2000 Meter hoch schlängelt.
Plötzlich stoppt ein zweiter Minibus vor uns und kommt völlig überladen nicht mehr weiter hoch. Jetzt müssen die Insassen des Fahrzeugs aussteigen und zu Fuß weitergehen, zumindest bis die nächste Steigung überwunden ist. Nach ruckeliger Fahrt erreicht der Wagen schließlich den oberen Teil des Berges, von hier an heißt es zu Fuß weiter aufsteigen bis auf den Gipfel. Ich bin etwas müde und die Luft ist dünn, die steilen ausgetretenen Stufen bis ganz nach oben aufzusteigen ist mühsam.
Das erste Licht
Und dann beginnt der Sonnenaufgang hoch oben auf dem über 2000 Meter hohen Berg Nemrut. Langsam breitet sich das erste Licht der Sonne über die faszinierende Gebirgslandschaft aus und fällt zuerst auf die steinernen Häupter des König Antiochos, des Zeus und anderer Götzen-Figuren aus der Kommagenezeit im 1. Jahrhundert v.Chr.
Das rot-braune Leuchten der ursprünglich 8 bis 10 Meter hohen Kalkstein-Statuen weiter oben an der Ostterrasse wird immer intensiver, als die Sonne jetzt ihre Kraft entfaltet. Einst befanden sich auf den mächtigen, sitzenden Figuren jene Steinhäupter, die jetzt weiter unten stehen. Sie blickten auf die umliegende Gebirgslandschaft und unterstrichen damit ihren Anspruch auf den Berg als Sitz der Götter. Zuvor war der Berggipfel aus massivem Felsgestein abgetragen worden und man hatte einen Grabhügel, Tumulus genannt, 50 Meter hoch aus Schottersteinen aufgeschüttet. Hierin soll sich das noch nicht gefundene Grab der Könige befinden.
Wie muß es bei den Kultfeiern an diesem magischen Ort zugegangen sein? Was müssen die Menschen jener Tage empfunden haben, wenn sie in Prozessionen auf den Berg gestiegen waren und vermutlich vor einem Feueraltar den Göttern huldigten?
Jetzt über 2000 Jahre später wirkt das faszinierende Schauspiel der aufgehenden Sonne in Verbindung mit den zunehmend strahlenden Figuren aus einem lange vergessenen Kult auf mich immer noch sehr beeindruckend. Dieser Ort hat etwas Magisches, etwas Spirituelles und er zeugt von der Tatkraft und Überzeugung, die ein Kult oder eine Religion bei Menschen auslösen kann, die dieses Heiligtum zur Verehrung ihrer Götter und auch als Zeichen einer neuen Gemeinschaft, eines unabhängigen Volkes bauten.
Wer war jenes Volk und sein König Antiochos, der sich selbst zur Gottheit ernannte und damit einen neuen Kult schuf?
Die Legende erzählt, dass sein Vater und er einen Vertrag mit den Göttern schlossen und so erfolgreich viele Jahre den expandierenden Römern und Parthern trotzten. Kommagene befand sich am oberen Euphrat im heutigen Südosten der Türkei. Es soll einst ein fruchtbares Land mit vielen Bäumen und reich an Oliven, Feigen, Granatäpfeln, Walnüssen und Wein, aber auch Gold und Mineralien gewesen sein. Heute wird vielerorts in der Region nach Erdöl gebohrt.
Die Täler wirken nach intensiver Bewässerung wieder grün, doch die Höhenlagen weisen wenig Bäume auf und sind von Ziegenherden kahl gefressen. Auch die nahe des Berg Nemrud gelegene alte Sommerresidenz Arsameia aus der Kommagene-Zeit ist heute von Blumen und Pflanzen überwuchert. Der 2206 Meter hohe Berg Nemrut fällt schon von Weitem durch seine ungewöhnliche Form auf. Nur im Sommer zeigt er sich frei von Schnee.
Die erste Erwähnung des Kommagene-Reiches geht auf 850 v. Chr. zurück. Aus Aufzeichnungen der Assyrer geht hervor, das das Volk der Kommagene Tribut zu zahlen hatte. Nach einem Aufstand gegen die Assyrer um 700 v.Chr., der von dem assyrischen König Sargon niedergeschlagen wurde, sollen umfangreiche Deportationen des Volkes von Kommagene in den Süden Mesopotamiens erfolgt sein, während von dort Menschen im Reich von Kommagene angesiedelt wurden.
Rund hundert Jahre später gerieten schliesslich die Assyrer unter die Kontrolle der Babylonier nach der entscheidenden Schlacht bei Samosata, das später zur Hauptstadt des Kommagene-Reiches werden sollte. 550 v.Chr. wurden dann die Babylonier zunächst von den Persern geschlagen und die wiederum von den Griechen unter Alexander dem Großen besiegt. Erst um 130 v. Chr. wurde Kommagene ein unabhängiges Königreich. Menschen vieler verschiedener Kulturen sollen damals in der Region gelebt haben, orientiert an Regeln und Glaubensvorstellungen des jeweiligen Familienklans.
König Mithradates I. verstand es, sich bei den Menschen jener Zeit Ansicht und Respekt zu verschaffen, etwa durch die Veranstaltung von Sportereignissen, an denen er selbst aktiv teilnahm und die die Bevölkerung zusammenbrachte. Der König heiratete eine seleukidische Prinzessin, die ihm nach vier Töchtern seinen Sohn und Thronerben Antiochos gebahr.
Aufgrund der militärischen Unterlegenheit des Landes gegenüber seinen Nachbarstaaten, soll Mithradates I. einen Vertrag mit den Göttern geschlossen haben, so die Legende, und sein Königreich blieb unabhängig. Dies führte zu einer großen Einigkeit der Menschen in der Region, die sich fortan als auserwähltes Volk unter dem Schutz der Götter betrachteten.
Überall im Reich wurden kleine Heiligtümer mit Steintafeln aufgestellt, die König Mithrates I. händeschüttelnd mit einer Gottheit darstellten und von denen aus der Berg Nemrud zu sehen war. Die fünf Götter erhielten jeweils persische und griechische Namen, um die Einheit des Volkes in Kommagene zu stärken.
Eine solche Handreichungsszene findet man auf einem Relief in der unterhalb des Berges gelegenen Residenz Arsameia, deren Errichtung unter Mithrates I. begonnen und unter Antiochos I. vermutlich noch vor der Anlage auf dem Berg Nemrut ausgebaut wurde.
Auch Antiochos, der Sohn von Mithradates, erhielt eine Erziehung, die auf persischen wie griechischen Glaubensvorstellungen basierte. Seine Mutter Laodike war eine Nachfahrin von Alexander dem Großen und sein Vater Mithradates war verwandt mit den Königen Persiens. Antiochos selbst wurde schon früh mit einer seleukidischen Prinzessin verheiratet.
Nach der Abdankung von Mithradates wurde Antiochos König und gemeinsam plante man das Grabheiligtum auf dem Berg Nemrut. Antiochos erkannte die Möglichkeit mit dem hoch gelegenen Heiligtum einen Kult zu schaffen, der seine Machtposition stärken und sich als neue Religion auch über die Grenzen Kommagenes hinaus verbreiten könnte. Um seine Rolle zu unterstreichen, bezeichnete er sich gar selbst durch den Beinamen “Theos” als Gottheit.
Kommagene war Handelspartner der Römer und der Parther und wurde zum Zentrum für den Handel zwischen Ost und West. Dies garantierte hohe Zolleinahmen an den Kontrollstellen am Euphrat oder im Taurusgebirge. Doch der Expansionsdrang der Römer, die nach und nach die Königreiche Kleinasiens (z.B. Pergamon) eroberten und um 80 v. Chr. nach Pisidien vorstiessen sowie auch der Vormarsch der Parther aus dem Osten, wurde für Kommagene immer bedrohlicher.
Um das Jahr 70 v. Chr. hatten die Römer die meisten ihrer Feinde besiegt und wandten sich schliesslich gegen Kommagene, den letzten unabhängigen Staat. Während das Land schnell unterworfen wurde, konnte die Hauptstadt Samosata nicht eingenommen werden. Der Legende nach wurden die römischen Legionen mit einer Substanz beschossen, die den Römern unbekannt war und die die Waffen der Belagerer verbrannt haben soll.
Nach Verhandlungen zwischen König Antiochos und dem römischen Konsul Lucullus zogen die Römer ab. Kommagene blieb jedoch eingekeilt zwischen Römern und Parthern. Antiochos vermählte seine Tochter mit dem König der Parther, die 53 v.Chr. die Römer besiegten und die Provinz Syria übernahmen. Das von den Römern kontrollierte Königreich Pontus lehnte sich gegen Rom auf und Julius Caesar beendete den Aufstand in Kleinasien. Aus jenen Tagen stammen die berühmten Worte: “Ich kam, ich sah, ich siegte”.
Nach Julius Caesars Ermordung und der Aufteilung des Römischen Reiches, herrschte Marcus Antonius über den Osten. Teils kontrollierte er seine Gebiete von Tarsus aus, wo er sich mit seiner Geliebten Cleopatra aufzuhalten pflegte. 38 v. Chr. errangen die Römer einen entscheidenden Sieg über die Parther, viele Überlebende flohen nach Kommagene unter den Schutz Antiochos.
Antiochos verweigerte die Auslieferung der Flüchtlinge an die Römer und bot stattdessen einen hohen Betrag als Entschädigung an. Marcus Antonius forderte jedoch den gesamten Staatsschatz des wohlhabenden Königreichs Kommagene. Als dies Antiochos ablehnte, schickte er die römischen Legionen aus, um Kommagene zu unterwerfen.
Wieder gelang es den Römern nicht, das Land zu unterwerfen, wie sie es von den Eroberungen in Kleinasien gewohnt waren. Auch Marcus Antonius Erscheinen vor Ort und die Unterstützung König Herodes von Judäa halfen nicht und so wurde die Belagerung abermals abgebrochen.
Nach dem rasch darauf folgenden Tod Antiochos und seiner Beisetzung neben seinem Vater im Heiligtum auf dem Berg Nemrut, konnte sein Sohn dem Druck der Römer auf Dauer nicht widerstehen und Kommagene wurde Teil der römischen Provinz Syria.
Unter Antiochos Nachfolgern führten Erbstreitigkeiten und die weiteren Kriege zwischen Römern und Parthern mehr und mehr zur Auflösung Kommagenes. Nach einer kurzen Phase erneuter Unabhängigkeit unter König Antiochos IV. wurde das Königreich 74 n. Chr. endgültig von den Römern geschlagen, viele Heiligtümer beschädigt oder zerstört. Kommagene geriet in Vergessenheit.
Später lebten Christen in der Region, denen die Bedeutung Kommagenes und des Heiligtums auf dem Berg Nemrut unbekannt waren. Man dachte, es sei eine Kultstätte des mächtigen Königs Nemrud (Nimrod), der im Alten Testament erwähnt wird und so nannten sie den Berg “Nemrud”. Nach vielen Jahrhunderten entdeckte schliesslich Ende des 19. Jahrhunderts der deutsche Ingenieur Karl Sester das Heiligtum und der türkische Archäologe Hamdi Bey begann mit ersten Ausgrabungen.
Drei Terrassen befinden sich auf dem Berg Nemrut: die Ost-, West-, und Nordterrasse. Dazu war zur Kommagene-Zeit ein großer Teil des ursprünglichen Berggipfels aus massivem Felsgestein abgetragen worden, eine beachtliche Leistung für jene Zeit. Dann wurde der Grabhügel, Tumulus genannt, 50 Meter hoch aus Schottersteinen aufgeschüttet.
Um den Hügel mit 150 Meter Durchmesser herum befindet sich ein Weg, der für Prozessionen diente. Von den Tälern sollen mindestens zweimal pro Jahr an Feiertagen Prozessionen zum Heiligtum auf den Berg heraufgeführt haben, von Süden kamen die Oberen der Gesellschaft zur Westterrasse, während das allgemeine Volk von Norden zur Nordterrasse aufstieg.
Auf der Ostterrasse befinden sich fünf ursprünglich 8 bis 10 Meter hohe Kalkstein-Statuen, die heute von der Witterung gezeichnet sind, jedoch bei Sonnenaufgang immer noch in prächtigem rötlichen Farben erscheinen. Sie stellen folgende Gottheiten dar (v.l.n.r.): Apollo (Mithras, Helios, Hermes), die Göttin Kommagene, Zeus (Oromasdes), König Antiochos I. und Artagnes (Herakles, Ares). Die sitzenden Götter, deren Köpfe heute unterhalb des ursprünglichen Platzes stehen, sollten darstellen, das der Berg ihr Wohnsitz mit Blick auf die umliegende Gebirgslandschaft ist.
Unterhalb davon sollen steinerne Reliefs gestanden haben, die die Begrüssung der Götter durch König Antiochos und ein Horoskop darstellten. Gegenüber den Statuen befand sich ein Feueraltar. Hinten auf der Statue des Zeus steht wie auf allen kommagenischen Heiligtümern “Nomos”, das heilige Gesetz des Antiochos, das die Götzenverehrung nach seinen Vorstellungen beschreibt. Die heute bekannten Texte beschreiben auch Antiochos Ansichten und Drang zur Rechtschaffenheit, aus dem er seinen Erfolg ableitete, das Kommagene trotz Bedrohung durch mächtige Gegner unabhängig blieb und sogar eine Blütezeit erlebte.
Die Sommerresidenz Arsameia
Die antike Stadt Arsameia nahe dem Berg Nemrud in der Region Eski Kahta in der Provinz Adiyaman in Südostanatolien war die Sommer-Residenz der Könige zu Zeiten des Kommagene Reiches im 1. Jahrhundert v.Chr. Dort befindet sich das Grab des Königs Mithridates Kallinikos (regierte 69-62 v.Chr.) und verschiedene Kultplätze. Ein Relief zeigt eine Handreichungsszene, die den Vertrag zwischen König Mithridates oder König Antiochos und dem Sonnengott Herakles symbolisiert. Wenn man die alten Stufen zur Residenz heraufsteigt, hat man einen herrlichen Ausblick auf die wundervolle Landschaft der Region.